Camino de Santiago

Mein Jakobsweg mit dem Fahrrad



Santiago

Peter Thomas

aus Siegburg



37. Tag
Mittwoch 24.07.2002


Der Tag fängt wieder mal schlecht an: Durchfall in der Nacht, aber kein Erbrechen. Ich habe zwei Stunden wach gelegen und bin dann um vier Uhr aufgestanden, um eine Stunde spazieren zu gehen. Zu dieser frühen Morgenstunde war für die Spanier der vorhergehende Abend immer noch nicht zu Ende, es war immer noch was los in der Stadt! Um fünf Uhr wieder ins Bett.

Ich schlafe bis neun Uhr, sodass es für das Konventamt wieder zu spät ist, ich besuche daher wieder die Pilgermesse am Mittag. Vor der Messe sitze ich eineinhalb Stunden in der Kathedrale, und es gelingt mir immer besser, vom Rummel zu abstrahieren. Die Messe wird heute als Pontifikalamt gefeiert, dafür ohne Orgel, nur mit Lautsprechermusik! Aber das Ordinarium ist heute lateinisch, und so kann ich gut mitfeiern. So ein lateinisches Hochamt hat immer noch den Geist der alten, großen und weltumspannenden Kirche, man fühlt sich einig mit allen Mitfeiernden, welcher Nation sie auch angehören mögen!

Nach einem Mittagsimbiss und der Siesta streife ich wieder durch die Stadt, beobachte das Treiben der Gaukler und fahrenden Künstler, und besichtige Touristen. Hier prallen wirklich Welten aufeinander: Pilger, Lebenskünstler, Touristen; christliche Gastfreundschaft, tiefe Religiosität und Geschäftemacherei, auch der übelsten Art. Eine solch extreme Mischung habe ich sonst noch nirgendwo erlebt.

In der Kathedrale baut das Fernsehen für die Übertragung des morgigen Festgottesdienstes auf, vor der Kathedrale wird eine regelrechte Vorbaufassade aus Feuerwerkskörpern montiert. Ich entfliehe dem Rummel, um mich auszuruhen und eine Kleinigkeit zu essen.

Gegen halb zehn bin ich wieder zurück auf dem Vorplatz der Kathedrale, und es ist fast kein Platz mehr zu bekommen, so viele Menschen haben sich hier versammelt, um das Feuerwerk zu erleben. Um halb elf ist Umfallen nicht mehr möglich, so dicht steht die Menge.

Ein 'Ohh!' von tausenden Stimmen erklingt, als eine Stunde später die erste Rakete abgefeuert wird. Ich stehe genau gegenüber der Kathedrale, über mir auf dem Balkon erscheint der spanische König samt Gefolge und wird von der Menschenmenge frenetisch begrüßt.

Das Schauspiel beginnt. Die gesamte Fassade der Kathedrale dient als Projektionsfläche, mit Graphiken, bewegten Bildern, Musik und Feuerwerk wird die Geschichte Santiagos dargestellt. Die Kathedrale scheint sich im Wirrwarr der Bilder regelrecht aufzulösen, es gelingt den Lichtkünstlern die perfekte Illusion einer brennenden, zusammenstürzenden und wieder auferstehenden Kirche zu erzeugen. Phantastische bengalische Lichter, kombiniert mit einem erstklassigen Höhenfeuerwerk. Über eine Stunde dauert die Vorstellung. Ähnlich Imposantes habe ich noch nie gesehen, es war wirklich ein einmaliges Erlebnis!

Über eine Stunde dauert es dann noch, bis ich den Platz verlassen kann. Um halb eins bin ich im Bett, aber die Stadt kocht erst jetzt richtig auf. Selbst in meinem abgeschotteten Zimmer höre ich noch bis zum frühen Morgen Musik. Aber es stört mich nicht.