Camino de Santiago

Mein Jakobsweg mit dem Fahrrad



Von Chatillon-Coligny nach Saint Benoit sur Loire

Peter Thomas

aus Siegburg



11. Tag
Freitag 28.06.2002


Auch diese Nacht war kalt, wenn auch nicht so sehr wie die vorherige, auch das Kondenswasserproblem ist nicht so stark. Die Sonne geht natürlich hinter einem Baum auf, den ich gestern nicht berücksichtigt hatte, so genau war für mich auch die Richtung des Sonnenaufgangs nicht vorher zu sehen.

Aber die sonstigen gestrigen Vorsorgemaßnahmen zahlen sich aus: Zum Ersten bin ich jetzt im Besitz eines Schwammtuchs, mit dem ich das Zelt vortrocknen kann, und zum Zweiten habe ich Kakao, Brot und Croissants zum Frühstück, das ich auf einer Bank in der Sonne am Ufer des Briere-Kanals einnehme. Gegenüber frühstückt ein Schwarm Tauben ebenfalls, auf einem Riesenberg Weizen, der wohl im Silo keinen Platz mehr hatte und einfach auf dem Platz davor aufgehäuft worden war. Bei jedem kleinsten Geräusch fliegt der ganze Schwarm auf, um sich nach kurzer Zeit wieder auf dem 'gedeckten Tisch' niederzulassen.

Oh wie ich diese warme Sonne liebe! (Und wie ich sie auf dieser Fahrt schon gehasst habe!)

Gestern Abend und heute früh hatte ich ein wenig Probleme mit dem Kreislauf, Schwindel beim Aufstehen aus der im stuhllosen Camping so üblichen Hocke. Ich mache mir aber deswegen keine Sorgen, hängt wohl mit der momentan reduzierten Kondition zusammen.

Mit trockenem Zelt kann ich schon um neun Uhr aufbrechen, halte aber nach wenigen hundert Metern wieder an, denn der Kaffee duftet doch zu verführerisch aus der Bar. Nach zwei Tassen und einer Viertelstunde geht es aber richtig los. Ich erlebe eine schöne Fahrt über wenig befahrene Nebenstraßen durch eine fast menschenleere Landschaft. Die wenigen Leute, die am Wegrand stehen oder gehen, grüßen alle freundlich; die wenigen Autofahrer sind sehr vorsichtig und rücksichtsvoll; hier vergibt sich ein Fahrer wohl nichts, wenn er mal zwei Gänge herunterschaltet, um den Gegenverkehr oder die schlecht einsehbare Kurve abzuwarten. (An einer Steigung, an der ich mich im ersten Gang abmühe, wartet an einer Einfahrt ein uralter 2CV - also nicht so eine 20-jährige Ente, wie sie bei uns in Deutschland noch manchmal als Oldtimer herumfahren, sondern ein wirklich altes Gefährt - um mir Vorfahrt zu gewähren, aber ich winke ihn heraus, aufdass er mich nicht sofort anschließend überholen müsse. Und er tuckert los, Opa Monsieur - mit Zigarette im Mundwinkel und Baskenmütze auf dem Kopf - mit Uropa Auto. Fast hätte ich überholen müssen, aber dann ist die Steigung zu Ende, und der 2CV ist jetzt doch schneller, vielleicht so 35 km/h?)

Meine Strecke führt mich über Les Bezards, Les Choux, Dampierre (hier das zweite Stück französischen Radwegs, vielleicht 500 Meter lang) nach Ouzouer, wo ich die Loire erreiche. Am Strom entlang fahre ich nun weiter, vorbei an Sully bis nach Saint Benoit. Hier ist ein richtig schöner Radwanderweg, wie an der Mosel, und die Landschaft ist einfach zauberhaft. Die Loire ist ja der einzige unverbaute Strom Europas, mit einer Menge von Altwassern und Inseln, die zum Teil auch als Vogelschutzgebiet ausgewiesen sind.

Ich erreiche Saint Benoit nach windiger, kalter Fahrt (heute zum ersten Mal mit Jacke) gegen dreizehn Uhr. Ich bin von diesem Ort - oder genauer von der Klosterkirche - direkt so angetan, dass ich nach der Non um ein Nachtquartier frage, obwohl die heutige Streckenlänge wieder mehr als mager ist und ich auch noch frisch für weitere fünfzig Kilometer wäre. Aber auf einer Radpilgerfahrt muss man aufpassen, dass man dem Geist nicht davonradelt! Außerdem beginnen mit der Vesper die Feierlichkeiten zum Hochfest 'Peter und Paul', meinem Namenstag. Und gibt es einen besseren Ort, diesen zu feiern als bei den Benediktinern?

Ich bekomme ein Zimmer und werde morgen bis nach dem Hochamt bleiben und erst mittags weiter fahren.

Vesper und Vigil sind sehr anregend, obwohl ich die Psalmen (auf Französisch) nicht mitsingen kann; aber wenigstens kann ich die Texte gut verstehen, da sie gedruckt vorliegen. (Warum drucken die nie Noten mit ab?) Die etwa vierzig Mönche singen ein- bis vierstimmig, sehr schön in perfekter Reinheit des Tons. Die Melodien sind so in der Art der Taize-Gesänge, ob sie von dort stammen oder vielleicht hier in Saint Benoit komponiert worden sind, muss ich morgen mal noch erfragen.

Nach der Vigil gehe ich bald zu Bett, die morgigen Feierlichkeiten beginnen mit den Laudes kurz nach sieben Uhr.



Tagesstrecke 50 km