Camino de Santiago

Mein Jakobsweg mit dem Fahrrad



Von Germay nach Ville sur Arce

Peter Thomas

aus Siegburg



8. Tag
Dienstag 25.06.2002


Eins der guten Dinge an einem Hotel (neben dem leckeren Essen und dem bequemen Bett) im Vergleich zum Campingplatz ist, dass man früh aufbrechen kann, ohne erst das Trocknen des Zelts abzuwarten. Ich frühstücke um sieben Uhr und fahre eine halbe Stunde später los.

Nach nicht einmal hundert Metern, direkt hinter der ersten Kurve ein Schild „“Campingplatz in 7 km““! Hätte ich das gestern Abend schon gesehen, wäre ich wohl dorthin weitergefahren. (Aber eigentlich bin ich ja ganz froh, dass das Schild nicht vor dem Gasthof zu sehen war.)

Es ist eine leichte und schnelle Fahrt in der Morgenkühle nach Joinville, fast immer leicht bergab, und so schaffe ich die siebzehn Kilometer in einer halben Stunde. In der Stadt gehe ich erstmal zum Friseur, nicht aus Eitelkeit, sondern weil ich unter den langen Haaren zu sehr schwitzen musste weil und die Schirmmütze mangels gutem Halt immer verrutschte.

Hinter Joinville kommt die erste Steigung, gut hundert Höhenmeter im nullten Gang. Dann geht es über kleine Nebenstraßen (die 1:200.000-er Karte ist wirklich gut!) immer auf und ab durch die endlosen Weizenfelder der Champagne, auch durch ausgedehnte Wälder und (etwa ab Colombey-les-deux-Eglises) durch die ersten Weinberge bis nach Clairveaux.

Es war mir zwar bekannt, dass die Abtei nicht mehr aktiv ist, aber ich hatte doch erwartet, zumindest etwas besichtigen zu können. In dem Gebäudekomplex ist jedoch jetzt ein Gefängnis, und nur samstags gibt es unter strengsten Sicherheitsauflagen eine Führung. Aber wenigstens bekomme ich am Informationsstand meinen Tagesstempel. Hier treffe ich auch ein belgisches Ehepaar, welches im September den spanischen Teil des Camino zu Fuß zurücklegen will.

Da es erst vier Uhr nachmittags ist und die Fahrt bisher so gut lief, beschließe ich weiter zu fahren nach Bar/Seine (nicht zu verwechseln mit Bar/Aube, das auch ganz in der Nähe liegt) und, wenn mir auf den nächsten Kilometern ein Campingplatz begegnet, dort zu übernachten.

Hinter Champignol beschließe ich wegen eines weitern Anstiegs vor Essoyes den Weg über Vitry-le-Croisé zu nehmen. Das stellt sich im Nachhinein als nicht so geschickt heraus, denn jetzt habe ich auf der freien Höhe gegen einen starken Wind zu kämpfen, sodass ich trotz eines leichten Gefälles nur im 3. Gang fahren kann.

Hinter Vitry, im geschützten Tal, läuft es dann wieder besser, und als ich in Chervey ein Schild „Gîte de France“ sehen, beschließe ich, dort zu übernachten, schließlich bin ich heute schon über hundert Kilometer gefahren.

Im Ort finde ich die Gîte jedoch nicht, und als ich einen im Garten arbeitenden Monsieur nach dem Weg frage, meint er nur, das sei zu kompliziert zum Erklären und er würde mich hinführen, holt sein Auto aus der Garage und fährt vor mir her bis zur Gîte. Leider sind die Besitzer ausgeflogen, und der Nachbar hatte auch keine Ahnung, wann sie wohl zurück kommen würden. Also leider doch kein Quartier!

Mein Führer erklärt mir aber, dass es im nächsten Ort, Ville-sur-Arce, etwa sechs Kilometer weiter, auch eine Gîte gebe, und er empfielt mir, es doch dort zu versuchen.

Also weiter! In dem kleinen Dorf, etwa sieben Kilometer vor Bar/Seine finde ich das Gebäude schnell, und eine junge Frau, eine dort wohnende Saisonarbeiterin auf dem Hof der Besitzer, führt mich zu diesen. Ja, ich könne in einem der unteren Zimmer übernachten, ob ich denn was zum Essen dabei hätte, es gebe kein Restaurant im Ort. Als ich verneine, verschwindet Madame im Haus und kommt nach einem Augenblick zurück mit Brot, Käse und Schinken, damit ich nicht hungern müsse, schließlich sei der einzige Laden im Dorf schon geschlossen. Sie entschuldigt sich sogar noch, dass sie keine Butter mehr habe, ob das für mich schlimm sei? (Natürlich nicht, ich bin ja so dankbar, dass ich überhaupt was zwischen die Zähne bekomme!)

Wir kommen dann noch ein wenig ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass Madame mich sofort beim Betreten des Hofs als Jakobspilger erkannt hatte, obwohl ich mein Credencial gar nicht sichtbar trug. Darin lag wohl ihr überaus freundlicher Empfang und die großzügige Verpflegung begründet, denn auch ihre Familie hatte schon das Jakobsfieber gepackt: die beiden Töchter waren im vergangenen Jahr (zu Fuß) von Saint Jean Pie de Port nach Santiago gepilgert.

Als ich dann nach Duschen und Abendesse auf den Höhenmesser schaue, bin ich überrascht: Fast 600 Meter sind im stetigen Auf und Ab zusammengekommen. Vor diesem Hintergrund sind mir die weit mehr als hundert Kilometer aber erstaunlich gut bekommen! Komme ich jetzt doch so langsam etwas mehr in Form?



Tagesstrecke 113 km