Camino de Santiago

Mein Jakobsweg mit dem Fahrrad



Von Metz nach Commercy

Peter Thomas

aus Siegburg



5. Tag
Samstag 22.06.2002


Nach dem Aufstehen kaufe ich zuerst in der nahegelegenen Boulangerie ein paar Croissants, die ich dann gemütlich mit zwei Riesenpötten Kaffee verzehre, derweil mein Zelt trocknet. Das geschieht allerdings so langsam, dass ich erst gegen zehn Uhr aufbrechen kann.

Ich fahre zuerst zur Kathedrale, mit einem ziemlichen Umweg wegen der unübersichtlichen Einbahnstraßen und der vielen parallelen Flussläufe. Die Kathedrale wird zur Zeit renoviert, sodass große Teile mit Planen abgedeckt sind. Trotzdem ist es ein eindrucksvolles Bauwerk, besonders schön auch das bunte Lichterspiel im Inneren durch die zu dieser Tageszeit tiefstehende Sonne. Ich mache ein paar Fotos und hebe dann den gestern gefassten Entschluss, die gesamte Kameraausrüstung wegen zu erwartender Nichtbenutzung nach Hause zu schicken, wieder auf. Einen Pilgerstempel für mein Credencial ist übrigens hier von keiner kirchlichen Stelle zu bekommen, nicht einmal am Postkartenstand. Ich muss mir also einen im Syndicat d'Initiative holen. (Ob der genausogut ist wie ein richtig katholischer, weiß ich zwar nicht; aber ob ich bei dem von mir bisher vorgelegten Tempo in diesem Jahr Santiago überhaupt erreichen werde, um dort die Gran Compostela, die offizielle Pilgerurkunde in Empfang nehmen zu können?)

Gegen elf Uhr war bin ich wieder auf der Landstraße, das Herausfinden aus der Stadt war ziemlich schwierig, Fernziel für Radfahrer sind für Wegweiseraufsteller wohl nie ein Thema. Es ist wieder ziemlich heiß heute, aber nicht schwül.

Trotz mehrfachen Versuchs war es mir in Metz nicht gelungen, 1:200.000-er Michelinkarten zu kaufen (gibt es die etwa nicht mehr?), sodass ich die Feinplanung weiter nach den Ausrissen aus einem alten 1:300.000-er Europaatlas vornehmen muss. Auf diesen Karten mache ich im Ort Commercy ein Kloster aus, das ich zum Tagesziel erkläre.

Ich folge einer kleinen Straße entlang der Bahnlinie durch das Tal der/des „Rupt de Mod“ (?), fahre über Arnaville - Waville - Thiaucourt - Gironville. Der reparierte Lowrider hält, ich biege ihn nur etwas weiter auswärts, das die Taschen etwas mehr federn als im Neuzustand, schließlich soll ein weiterer Speichkontakt verhindert werden.

Mittags wir es so heiß, dass der Asphalt der Straße aufweicht. Die ganze Zeit begleitet mich ein „klebriges“ Geräusch. (Gibt das eigentlich zusätzlichen Fahrwiderstand?) Auf den offenen Straßen in der Höhe und bei den Abfahrten (meist gen Westen) herrscht ein heftiger Gegenwind, während es bei den oft nur im 0. Gang zu bewältigenden Aufstiegen bedauerlicherweise in der Regel windstill ist. Und die meiste Zeit fahre ich „on the sunny side of the street“, was heute aber nicht unbedingt positiv ist. Im stetigen Auf und Ab komme ich nur langsam voran, die Aufstiege sind zu steil zum Fahren, die Abfahrten zu steil und zu kurvig zu reinen Laufenlassen, immer wieder muss ich durch Bremsen wertvolle Energie in zusätzliche Wärme wandeln.

Den letzten Tropfen meines Wassers trinke ich ca. 6 km vor meinem Ziel Commercy, es folgt noch eine genussvolle Abfahrt zum Vorort Vignot.

Dort passiert es dann: Wegen eines zu knapp überholdenden Motorrads muss ich nach rechts ausweichen und gerate in eine Schlaglochzone, und wieder ist da das hässliche Geräusch von falschem Metall in den Speichen, offenbar hat die Reparatur des Gepäckträgers doch nicht gehalten. Nach dem Abnehmen der Gepäcktaschen sehe ich erst auf den zweiten Blick die Bescherung: Nicht wie vermutet der linke, geflickte Halter war beschädigt (die Reparatur hatte tatsächlich gehalten), sondern jetzt war der rechte gebrochen, eine Strebe direkt an der Öse für die Befestigungsschraube, irreparabel!

Jetzt habe ich ein echtes Problem, denn eine Weiterfahrt ist absolut unmöglich. Wohin mit dem Gepäck?

Schließlich biege ich den ohnehin nicht mehr brauchbaren Lowrider weiter nach außen und packe die beiden Fronttaschen mit Gummibändern noch zusaätzlich auf den hinteren Gepäckträger. Das Ganze ist zum Fahren natürlich viel zu instabil, und so schiebe ich das Rad bis nach Commercy. Schon aus der Ferne sehe ich den Komplex des Klosters. Auf der Orientierungstafel am Ortseingang finde ich allerdings keine Angaben zum Kloster, aber ich finde das Gebäude auch ohne Stadtplan.

Leider gibt es aber dann doch kein Kloster hier, es ist bereits vor Jahren geschlossen worden, die Gemäuer beinhalten jetzt ein Krankenhaus. Auch im Bereich der Pfarre gibt es keine Unterkunft, einen Campingplatz gibt es in Commercy ebenfalls nicht. Natürlich ist es mittlerweile (Samstag-)Spätnachmittag und alle Institutionen wie Post, Geschäfte oder Werkstatt haben geschlossen. Ich frage mich zu einem der beiden Hotels im Ort durch und schiebe auch noch die zwei Kilometer dorthin, bekomme auch noch ein Zimmer, für zwei Nächte bis Montag.

Ich weiß bereits aus dem Fahrradhaus in Thionville, dass es Lowrider-Gepäckträger in Frankreich nicht zu kaufen gibt. Ich werde also eine größere Tasche für den Heckträger kaufen müssen und dann trotzdem noch einen Teil meines Gepäcks nach Hause schicken. All das kann natürlich erst am Montag geschehen.

Nach dem Einzug ins Zimmer erst mal unter die Dusche, dann Wäsche waschen und ab in die Stadt. Dort genehmige ich mir das erste feine Essen dieser Reise (auch ein wenig zum Trost für mein Missgeschick): Magret de canard, lecker!



Tagesstrecke 88 km